„Kairo – Die Stadt, die den Mond verschluckte und Geschichten ausatmet“
- mai haikal

- 17. Okt.
- 4 Min. Lesezeit
„Wer Kairo nicht gesehen hat, hat die Welt nicht gesehen. Ihre Erde ist aus Gold, ihr Nil ist ein Wunder, ihre Frauen sind wie schwarzäugige Jungfrauen aus dem Paradies, ihre Häuser sind Paläste, ihre Luft ist weich und duftend wie Aloeholz. Und wie könnte Kairo anders sein, ist es doch die Mutter der Welt.“ So steht es in den Geschichten aus 1001 Nacht geschrieben.

Ich betrete Kairo nicht einfach. Ich werde von ihr verschluckt. Die Stadt nimmt mich auf wie ein alter Freund, der mir gleichzeitig ein Rätsel bleibt. Ihre Geschichte beginnt nicht mit mir, aber sie erzählt sich durch mich weiter – in jedem Schritt, jedem Duft, jedem flüchtigen Blick auf ein Minarett, das sich gegen den Himmel stemmt. Wenn ich durch die Altstadt Kairos streife – durch das islamische Viertel, das die UNESCO als Weltkulturerbe adelt, höre ich die Mauern flüstern. Sie lachen. Sie streiten. Und ich? Ich lausche.
Die arabische Eroberung Ägyptens war kein Donnerschlag, sondern eine sandfarbene Flut. Im Jahr 641 n. Chr. gründete ʿAmr ibn al-ʿĀṣ Fustat – die erste islamische Hauptstadt. Eine Stadt aus Zelten, aus Hoffnung, aus dem Klang der ersten Gebete, die sich mit dem Wind vermischten. Später folgten al-ʿAskar und al-Qataʾi – wie Vorstufen eines Traums, der noch nicht wusste, wie groß er werden würde.
Und dann kam 969. Die Fatimiden, mit Sternenkarten und Visionen, gründeten al-Qāhira – „die Siegreiche“. Man sagt, Mars habe über dem Himmel gestanden, als die ersten Steine gelegt wurden. Andere behaupten, die Stadt sei gebaut worden, um die himmlischen Kräfte zu zähmen. Ich glaube beides. Denn Kairo ist nicht nur gebaut – sie ist beschworen worden.
„Kairo ist eine Weltstadt, die die Seele, das Herz und den Geist jedes Reisenden mit der Wärme tausender Sonnen erfüllt“ – so schrieb ein Reisender, und ich spüre es in jeder Pore.
Wenn ich wirklich wissen will, wer Kairo ist, dann gehe ich dorthin, wo die Zeit sich kräuselt: in die Altstadt. Zwischen Al-Azhar und Bab Zuweila, wo die Gassen so schmal sind, dass selbst das Licht sich ducken muss.
Die El-Muizz-Straße, einst das Rückgrat der mittelalterlichen Stadt, wurde in den vergangenen Jahren liebevoll restauriert. Ihre Moscheen, Medresen und Paläste glänzen wieder – nicht wie neu, sondern wie wachgeküsst. Die Steinornamente erzählen von Mamluken, die mit Licht und Schatten bauten. Die Straße ist heute eine Bühne, auf der Geschichte und Gegenwart gemeinsam tanzen. Abends, wenn die Laternen angehen, wirkt sie wie ein Gedicht in Gold.

Und dann – wie ein Herzschlag – das Fishawy Café. Versteckt in einer Gasse des Khan el-Khalili, wo die Luft nach Minze, Shisha und Geschichten riecht. Hier saß Naguib Mahfouz, Tag für Tag, Jahr für Jahr. Geboren 1911, gestorben 2006. 1988 erhielt er den Nobelpreis für Literatur – als erster arabischer Autor überhaupt. Und er blieb der Stadt treu: „Ich bin in Kairo geboren, habe in Kairo gelebt, und ich werde in Kairo sterben.“
Seine „Kairoer Trilogie“ – Zwischen den Palästen, Palast der Sehnsucht, Das Zuckerhaus – spielt genau hier, in diesen Gassen, zwischen den Schatten der Moscheen und dem Lachen der Händler. „Kairo ist ein Roman, den man nicht liest, sondern erlebt“, sagte Mahfouz – und ich glaube, er meinte genau diesen Moment.
Ich stelle mir eine Szene aus Zuqāq al-Midaq vor: Der Barbier Abbas steht am Rand der Gasse, träumt von einem besseren Leben, während Hamida, schön und stolz, vorbeischwebt – ihr Blick ein Versprechen, ihr Schritt ein Aufbruch. Die Gasse lebt. Sie atmet. Sie flüstert. Und Mahfouz schreibt mit dem Ohr am Pflasterstein.
Die Altstadt ist ein Theater. Jeder ist Schauspieler, jeder ist Zuschauer. Ein Schmied hämmert ein Türscharnier, das genauso klingt wie vor 500 Jahren. Ein junger Mann liest Gedichte von Negm auf seinem Smartphone. Die Gerüche – Kardamom, Diesel, gebratene Leber – vermischen sich zu einem Parfüm, das man nicht kaufen kann. Nur erleben.
Natürlich hat Kairo auch ihre Schatten. Der Verkehr ist ein tägliches Abenteuer, die Luft manchmal ein Gedicht aus Staub. Aber selbst das hat Charme – denn wer in Kairo lebt, lernt, mit Chaos zu tanzen.
Heute, im Jahr 2025, ist Kairo eine Megastadt mit über 22 Millionen Menschen. Die Altstadt ist ihr Herz, aber das Blut fließt auch in andere Richtungen. Und nun, wie ein Epilog, erhebt sich die neue Verwaltungshauptstadt aus dem Sand östlich von Kairo. Gläserne Türme, breite Boulevards, ein Präsidentenpalast, der aussieht, als hätte er sich aus einem Science-Fiction-Film verirrt. Manche sagen, sie sei die Zukunft. Andere nennen sie ein Spiegelbild des Wunsches nach Ordnung. Ich aber sehe sie als Schwester – jung, ehrgeizig, aber noch ohne die Narben, die Kairo so schön machen.
„Kairo ist Chaos, das sich weigert, gezähmt zu werden – und genau darin liegt ihre Schönheit“, sagte ein Journalist, der sich in den Gassen verlor und nie ganz zurückkam.
Ich glaube: Solange in der Altstadt ein alter Mann Tee ausschenkt, ein Kind lacht, eine Frau ihre Stimme erhebt, und die Mauern weiter flüstern – solange lebt Kairo. Nicht nur als Hauptstadt, sondern als Seele. Und irgendwo, zwischen den Schatten der El-Muizz-Straße und dem Duft des Fishawy-Tees, sitzt Mahfouz noch immer – und schreibt.













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